Leben und Sterben in unserer Zeit – Herbstseminar des Ökumene-Kreises

Man fühlte sich wohl im Foyer des Gemeindezentrums St. Elisabeth, wenn man aus dem feucht-kühlen Novembergrau hereinkam. Stühle im Halbkreis, Stehtische herbstlich dekoriert mit dunklen dürren Zweigen, aber dazwischen Weiß und ein warmes Herzblut-Rot, das zusammen mit Teelichtern Assoziationen an kleine Kaminfeuer weckte; hinter den Redner-Plätzen vorm Kirchenraum von Ferne das Kreuz vor Blau und goldenem Gelb… Alles war warm und freundlich, eine Atmosphäre, in der Thema des Abends „Leben und Sterben in unserer Zeit“ gut aufgehoben war.

Um die 30 Menschen aus St. Elisabeth und den ev. Gemeinden Auringen, Medenbach und Naurod folgten der Einladung des Ökumene-Kreises am 7.11., vielleicht ‚nur‘ um sich zu informieren, was die moderne Palliativmedizin zu bieten hat… Doch das diesjährige Herbstseminar war, auch wegen der liebevollen Raumgestaltung, aber vor allem dank Chefarzt Dr. med. Bernd Oliver Maier und Dr. Bernhard Einig, weit mehr als eine Informationsveranstaltung über Palliativversorgung im St. Josefs-Hospital.

Bernhard Einig eröffnete den Abend, indem er den musikalischen Aufbau und den Inhalt der Doppelchor-Motette „Unser Leben ist ein Schatten“ von Johann Bach (1604–1673), des Erfurter Großvaters von Johann Sebastian Bach, vorstellte: Das Stück ist geprägt von schweren Schicksalsschlägen im Leben des Komponisten, von Leiderfahrungen verursacht durch den Dreißigjährigen Krieg und die Pest, aber auch einer tiefen Gläubigkeit. Einig interpretierte den Wechsel von Chorus und Chorus latens – einem ‚verborgenen‘, nicht sichtbarem Chor – als Dialog zwischen den Lebenden und den Toten, die im festen Glauben an Christus auf ihre Auferstehung warten. Der Text der 8-minütigen Motette, musikalisch eindringlich umgesetzt, konnte mitgelesen werden. Dieses musikalische Intro des Abends war eine ganz besondere Einstimmung in das Thema der Endlichkeit des natürlichen menschlichen Lebens, das immer von Leid und Tod durchdrungen ist und auch damit endet. Doch was liegt weiter auseinander als leben wollen und sterben müssen? Wie kann beides in unserem Bewusstsein zusammenfinden und ertragen werden?

Mit durch die Musik fokussierter Aufmerksamkeit fiel es den Anwesenden leicht, den besonnenen Überlegungen des Spezialisten für Palliativmedizin zu folgen; Überlegungen, wie in unserer Zeit ein natürliches Sterben, das zu Ende-Erzählen der eigenen Geschichte, wie Dr. Bernd Oliver Maier es auch nannte, möglich ist; in einer Zeit, in der – anders als im 17. Jahrhundert – die medizinische Versorgung selbstverständlich ist, und wissenschaftliche Forschung differenzierte Diagnostik und lebensverlängernde Therapien entwickelt und optimiert. Dass die Grundverfassung des Menschseins, Leiderfahrung und Endlichkeit, Krankheit und Tod, bei allem Fortschritt dieselbe bleibt, gerät oft in den Hintergrund – ob verdrängt oder vergessen, macht keinen Unterschied.

In der Palliativmedizin geht es also zunächst darum, so Maier, Leiden in Form von Schmerzen erträglich zu machen, so weit einzudämmen, dass nicht das gesamte Bewusstsein davon ausgefüllt wird. Denn dann lässt sich herausfinden, wie der Faden der eigenen Geschichte wieder aufgenommen werden kann: Es ist nicht mehr nur eine Geschichte von Befunden, Diagnose und Behandlung, sondern die des Befindens – wie geht es mir, was fehlt mir, um wieder bei mir selbst zu sein? Was will ich jetzt eigentlich, wie möchte ich, dass meine Geschichte zu Ende geht?

„Die Tage erleben, nicht das Sterben erwarten“, heißt es im Faltblatt, das über das Palliativ-Projekt des JoHo informiert. Und dabei will das Team der Station helfen, in dem nicht nur Ärzte, sondern auch Pflegekräfte, Psychologen und eine Musiktherapeutin zusammenarbeiten, und das auch die Angehörigen so umfassend wie gewünscht und möglich einbezieht. Das Ziel formuliert Dr. Maier so: „Unsere Palliativversorgung steht radikal und respektvoll dafür ein, jedem Menschen, jedem gelebten Leben mit einem Höchstmaß an Aufmerksamkeit zu begegnen, um auch in den verletzlichsten Momenten Raum für Würde und Zuwendung gewähren zu können.“ Besser kann man Dr. Maiers Anliegen, das im Vortrag und Gespräch an diesem Abend thematisiert wurde, nicht auf den Punkt bringen.

„LEBEN RAUM GEBEN“ ist das Motto der St. Josefs-Hospital Wiesbaden Stiftung für das Palliativzentrum, die auch im ökumenischen Weihergottesdienst in diesem Sommer von Dr. Bernhard Einig (der als Ansprechpartner der Stiftung fungiert) vorgestellt worden war. Sie hilft mit, das für die Palliativversorgung in Deutschland entwickelte Wiesbadener Leuchtturmprojekt voranzubringen, es gibt u.a. auch Pläne für eine Tagesklinik.

Dieses Herbstseminar, der bewegende Abend, der in angeregten Gesprächen bei einem Glas Wasser oder Wein ausgeklungen ist, hat alle Anwesenden berührt und ihnen viel mitgegeben, das, wie man im Nachhinein mitbekommen hat, auch noch weiter zum Nachdenken anregt.

Dr. Margit Ruffing